EINE GESCHICHTE VON EMANUELFLEUTI

 

Klaus packte ein kompaktes Gerät aus seiner fast edel aussehenden Kunstledertasche und stellte es andächtig auf den Tisch. Das Gerät war etwas grösser als ein A4-Papier und so dick wie zwei Pack Kopierpaper. Er klappte einen kleinen Bildschirm auf, drückte auf einen Knopf an der Seite und wandte sich dann voller Stolz seinem Gegenüber zu.
Herr Schweinhuber, doch immerhin Direktor einer mittelgrossen Bank, hatte ihm mit einer Mischung aus Neugier und Ablehnung zugeschaut, während er es sich am grossen Besprechungstisch bequem machte und an einer Tasse Kaffee schlürfte.
Klaus (theatralisch nach Worten ringend, mit Ehrfurcht): Das ist sie also, die Lügenpresse, das neuste Modell, exklusiv für Sie, Herr Schweinhuber.
Schweinhuber (mit hochgezogener Augenbraue, etwas überrascht): Und was genau, bitte, ist und macht eine Lügenpresse, Herr Nötiger?
Klaus (mit Bestimmtheit): Sie presst Lügen, was den sonst. Sie wissen ja, was eine Schrottpresse, eine Fruchtpresse oder eine Ballenpresse ist, ja? – Und genau so ist die Lügenpresse: sie presst Lügen.
Schweinhuber (sich vorlehnend, mit gedehnter Stimme): Und wie muss ich mit das genau vorstellen?
Klaus (mit dem Unterton des Allwissenden, der sich über die Unwissenheit des Gegenübers ärgert): Das ist ja wohl offensichtlich. Sie geben hier Ihre Lügen ein, die Sie nicht mehr brauchen können oder wollen, so wie zum Beispiel ein altes Auto. Das Gerät zerlegt die Lügen, filtert den noch brauchbaren Inhalt heraus und presst dann den Rest, der anschliessend in den Müll geht und rückstandsfrei gelöscht wird.
Schweinhuber (entrüstet und bereits sehr überheblich): Herr Nötiger, ich lüge nicht.
Klaus (zynisch lächelnd und sich wie beiläufig etwas an der Nase ziehend): Seien wir zur Abwechslung mal ehrlich, Herr Schweinhuber, vor allem Sie zu sich selbst. Spesenabrechnungen? Bonuszahlungen? Interne Stellenvermittlungen? Affäre? Akquisition von Schrottfirmen? Aber nein, was träume ich da vor mich hin.
Schweinhuber (mit zugekniffenen Augen und gepresster Stimme): Erklären Sie doch erst mal, wie diese Maschine funktioniert.
Klaus (mit nüchterner, klar erklärender Stimme): Sie gehen erst mal Ihre bisherigen Lügen, die Sie in Interviews oder Mitteilungen von sich gegeben haben durch und nehmen jene heraus, die nicht mehr opportun sind. Die scannen oder speichern Sie hier in der Maschine. Ich mache ein Beispiel, völlig fiktiv natürlich: «Meine Spesenabrechnungen sind berechtigt». Falls dies eine Lüge ist und beispielsweise wegen einer Strafuntersuchung nicht mehr opportun ist, geben Sie sie ein. Die Maschine analysiert die Lüge nach Inhalt und Wiederverwendbarkeit. Wenn daran – rein hypothetisch selbstverständlich – so überhaupt nichts stimmt und nicht wiederverwendet werden kann, extrahiert die Maschine das noch Wertvolle, zum Beispiel wird aus dem Wort Spesenabrechnung das Teilwort Sparen extrahiert. Und aus berechtigt wird richtig. Die Maschine setzt daraus das Statement «Sparen ist richtig» zusammen und gibt Ihnen das heraus. Der Rest wird gemäss dem Standard des amerikanischen Verteidigungsministeriums, dem Ministry of Defence Delete Standard endgültig gelöscht und kann nicht wieder hergestellt werden. Und ab sofort können Sie also Ihre alten Lügen loswerden und gegebenenfalls noch ein paar Wertstoffe gewinnen.
Schweinhuber (doch stark zweifelnd, aber schon etwas interessierter): Aber das geschieht ja nur hier. Was ist, wenn eine Lüge schon weiterverbreitet worden ist?
Klaus (nickend, als hätte er diese Frage bereits erwartet): Das ist das Geniale daran. Wenn das Gerät an das Internet angeschlossen ist – Sie brauchen allerdings eine etwas leistungsfähige Verbindung – dann startet die Lügenpresse einen Reverse-Engineering-Prozess und wird überall dort, wo Sie diese Lüge schon mal platziert haben, diesen Lügenpressvorgang auslösen können. Damit können Ihre Lügen weltweit gepresst und entsorgt werden.
Schweinhuber (noch etwas zurückhaltend, aber schon deutlich gelöster): Haben Sie den überhaupt Erfahrung und Referenzen?
Klaus (offensichtlich auf diese Frage wartend und mit entsprechend überzeugter Stimme antwortend, aber bewusst Konklusionen offenlassend und schlussendlich stolz auf seine Lügenpresse deutend): Zunächst war ich ja selbst über zehn Jahre in einer Bank beschäftigt, ich kenne mich da also aus. Im Weiteren verweise ich gerne auf die ausländische OSB, die Oberschichtsbank. Haben Sie bemerkt, dass diese Bank in letzter Zeit kaum mehr mit Skandalen in der Öffentlichkeit auffiel? Das hat seinen Grund.
Schweinhuber (gespielt gelangweilt, als würde ihn das ja eigentlich nichts angehen): Nun, nicht dass ich mich ja da überhaupt betroffen fühlte, aber ich sehe Ihnen an, dass Sie eine gewisse wirtschaftliche Unterstützung brauchen. Ich könnte mir überlegen, ein solches Gerät als Dekoration anzuschaffen.
Klaus (schon zu Beginn wissend, dass dies kommen würde – so wie bisher bei allen Produkteplatzierungen – und Schweinhuber mit einem versteckt frechen Grinsen anschauend): Ich wusste doch, dass bei Ihnen Kopf und Bauch in Linie sind, wie man so sagt.
Klaus (abwehrend die Hand hebend, als Schweinhuber eben aufbrausen wollte und dann süffisant ein Blatt Papier hinüberschiebend): Sie finden alle Details hier. Anschaffung, Unterhalt, Vorschlag zur Verbuchung. Ich nehme allerdings nur Kryptowährung. Ach ja, bevor ich es vergesse: Das Gerät ist personalisiert. Ihre Kollegen können es nicht brauchen. Aber Sie haben ja meine Kontaktangaben. Die stimmen.