EINE GESCHICHTE VON ISABELLE LEUTENEGGER
Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da lebte ein blond gefärbter Mann. Er war alt, weiss aber nicht weise. Trotzdem war er das gewählte Oberhaupt eines grossen Landes, welches sich selbst wie der alte Mann auch als grossartig zu sein rühmte. Nach seiner Wahl verstanden die meisten seiner gebildeten Untertanen überhaupt nicht, was passiert war. Viele bereuten es nun nicht wählen gegangen zu sein, weil sie dachten, seine Kandidatur hätte eh keinen Erfolg. Doch sie hatten sich getäuscht. Nicht wenige Einwohner dieses grossen Landes fühlten sich endlich gehört. Der blond gefärbte Mann war sehr geschickt darin, bei seinen Wählern Ängste zu schüren und ihnen im gleichen Atemzug zu versichern, er würde sich darum kümmern und diese beseitigen. Dieser Teil der Bevölkerung glaubte ihm blindlings.
Oberhäupter von umliegenden Ländern und solchen, die auf der anderen Seite des Meeres regierten, rieben sich die Augen. Sie staunten, wie sich die Umgangskultur dieser neuen Regierung änderte. Die Politik wurde rauer und grobschlächtig. Es kamen Dinge zutage, es geschahen Übergriffe, die den normalen Bürger ins Gefängnis oder zumindest vor Gericht gebracht hätten. Das gewählte Oberhaupt entpuppte sich mehr und mehr zu einem König mit eigenen Wahrheiten bezüglich seiner Taten.
Gerne suchte das Oberhaupt die Nähe zu anderen bizarren Herren der Macht. Vermutlich fühlte er sich dort unter seinesgleichen. Selten stiess er dabei auf echte Gegenliebe. Dies realisierte er jedoch nicht.
Seit Anbeginn seiner Machtübernahme nahm er jede Plattform wahr, um sein ausgeprägtes Sendebewusstsein zu befriedigen. Er beglückte seinen Lieblingsfernsehsender mehrmals wöchentlich mit mehr oder minder wichtigen Aussagen und Erklärungen über seine Heldentaten. Mehrmals stündlich schenkte er seinen Anhängern und Gegnern über soziale Medien Informationen direkt aus der Schaltzentrale seiner Macht. Schliesslich wollte er als 45stes Oberhaupt dieses Land wieder gross machen und als Held in dessen Geschichte eingehen. Dazu war ihm jede Aussage, ob realitätsnah oder nicht recht. Irgendwann kam er an den Punkt, wo ihm die Aussagen ausgingen. Er war in Sorge, denn der Wahlkampf für die zweite Runde als Oberhaupt des Landes rückte näher. Er begann noch mehr Fernsehen zu schauen, um neue Ideen für seine Wahrheiten zu bekommen. Es half nicht. Die Lügen und Gemeinheiten, mit denen er seine potenziellen Gegner aus dem Rennen werfen wollte, waren fast alle aufgebraucht. Da hatte er plötzlich eine Idee. Es müsste doch auch für dieses Problem eine Maschine oder Technik geben. Also sandte er seine Späher aus mit dem Auftrag, einen Menschen zu finden, der ihm eine solche Maschine bauen konnte. Und tatsächlich fanden seine Leute einen treuen Gefolgsmann aus dem Sonnenscheinstaat, der so eine Maschine hatte. Eiligst wurde der Erfinder samt dem Wunderding in die Hauptstadt gebracht. Herr Forger stellte das Teil, welches wie ein Möbelstück aussah, in das ovale Büro des Oberhauptes. Dieser war entzückt, denn es glich einer Jukebox und war ebenso einfach zu bedienen. Herr Forger erklärte ihm, dass er nur ein Thema auswählen musste, dann den Knopf, der aufleuchten würde, drücken, und schon würde die Jukebox ihm eine wunderbare, realitätsnahe Improvisation vorsagen. Das Landesoberhaupt war derart glücklich, dass er Herrn Forger grosszügig entlohnte und ihm ein lebenslanges Wohnrecht in seiner Golfanlage im Sonnenscheinstaat versprach.
Und so gingen die Tage bis zur nächsten Wahl dahin, die Knöpfe wurden fleissig gedrückt, und die Wähler wurden täglich mit Wahrheitsinterpretationen aus der Jukebox überschwemmt.
Zum Glück hielt der weise Mann im Himmel schützend die Hand über dieses einst grossartige Land, welches unter dem jetzigen Oberhaupt mehr und mehr in Unwahrheiten zu versinken drohte. Die Wahl für die zweite Amtszeit dauerte mehrere Tage und es zeichnete sich eine Niederlage für das amtierende blond gefärbte Oberhaupt ab. Dieser war darob derart verzweifelt, dass er die als Jukebox verkleidete Lügenpresse beinahe stündlich bemühte. Das war auch für eine Maschine zu viel. Das Oberhaupt bemerkte nicht, wie die Jukebox zu rauchen begann. Sein Puls war zu hoch, wie auch die Betriebstemperatur der Jukebox. Wie sollte er seinen Untertanen bloss erklären, dass es nicht seine Schuld gewesen sei, dass ein geschichtsträchtiges Gebäude in der Hauptstadt gestürmt worden war. Plötzlich gab es einen lauten Knall, – die Jukebox explodierte, – die Wahl war verloren!
Und da das Oberhaupt nicht gestorben ist, lebt es geblendet von seinem Narzissmus weiter. Damit ihm der nächste Sieg nicht wieder vermeintlich gestohlen wird, hat er seinen Getreuen aufgetragen, eine wahlkampftaugliche neue Lügen-Jukebox zu organisieren,
Nun kann die Welt wiederum nur auf den weisen Mann im Himmel hoffen.