EINE GESCHICHTE VON EMANUELFLEUTI

 

Mittwoch, 5. Januar 2022, 06:54:
„Liebe Nachbarn, ich habe den Karton rausgestellt und gesehen, dass die Abfallcontainer zugestellt sind. Die Container werden morgens sieben und halb acht geleert, der Karton wird im Laufe des Morgens geholt. Ich glaube kaum, dass die Müllmänner Freude haben, wenn sie zuerst den Karton wegstellen müssen, um den Abfall zu leeren. Denkt mal darüber nach. Einen schönen Tag. LG, Martha.“
Oh, nein, denke ich, was soll den das bedeuten? Ich bin zwar einer der sieben Nachbarn, aber sie weiss ja, dass ich den Karton nie hinstelle, sondern einen Kartoncontainer der Firma Huber benützen darf. Warum schickt sie mir extra diese Nachricht? Ich mache mir Sorgen. Geht es ihr nicht gut? Ist sie allenfalls am hyperventilieren?
Mittwoch, 5. Januar 2022, 07:41:
„Liebe Martha, Danke. Da wir ja nie Karton hinstellen, nehme ich das gerne einfach als Hinweis auf. Wäre ja eigentlich logisch! LG, Hanspeter.
Mittwoch, 5. Januar 2022, 07:54:
„Hallo Hanspeter, es lag aber auch schon Karton mit Plastikklebern und ganz mit eurer Adresse im Container vom Huber.“
Ich mache mir noch mehr Sorgen. Ist Martha auf Entzug? Hat sie keine Bettmümpfeli mehr erhalten? Musste sie Karton essen?
Mittwoch, 5. Januar 2022, 08:01:
„Ja, der Huber hat uns explizit angeboten, unseren Karton in seinem Container zu entsorgen.“
Mittwoch, 5. Januar 2022, 08:20:
„Ja, ich weiss, aber bitte ohne Kleber und nicht ganz, damit es mehr Platz hat.“
Ich bin wieder erleichtert. Endlich jemand, der sich um die wesentlichen Probleme in meinem Leben kümmert. Ich fühle mich gut aufgehoben, ich werde beachtet. Manchmal kam sie mir vor wie eine Pfahlbäuerin. Ich weiss nicht genau wieso. Vielleicht, weil sie so sesshaft ist? Sie ist schliesslich achtzig Meter weiter oben an der Strasse aufgewachsen, ihr Vater besass das Land, wo sie jetzt wohnt. Oder weil sie selten weiter als bis zu den Containern geht? Ich muss meinen Eindruck revidieren. Ich habe sie wirklich unterschätzt.