EINE GESCHICHTE VON MANUSCH
Mario war völlig von den Socken, verblüfft, ja erschüttert darob, was ihm eben widerfahren war. Etwas, was er noch vor Stunden für völlig unmöglich gehalten hätte. Geschweige denn, dass er sich selber als Hauptperson darin finden würde. Immer wieder schüttelte er den Kopf, murmelte leise vor sich hin. Dann hörte er die Haustüre aufgehen und wie sie wieder ins Schloss fiel. Monika legte Schlüssel und Tasche auf die Kommode, hängte ihre Jacke an die Garderobe. Sie ging ein, zwei Schritte Richtung Küche, blieb dann, in die Stille horchend kurz stehen. Seltsam, dachte sie, normalerweise ist er doch längst bei ihr, um sie mit einer Umarmung zu begrüßen. Mario aber steht wie angewurzelt in der Küche. Monika geht auf ihn zu, mustert ihn und meint: “Mensch Mario, was ist denn mit dir los?” …
Er schüttelt den Kopf, presst die Schultern zusammen und der kalte Schweiß steht ihm auf der Stirn, er findet keine Worte, stammelt unzusammenhängend vor sich hin. Monika ist erschrocken und als sie versucht ihn zu umarmen, spürt sie überrascht wie er schnell zurückweicht. In seinen Augen sieht sie etwas, das sich als Panik deute ließe. Ihre Gedanken schlagen Purzelbäume, was kann nur passiert sein, sie war doch nur übers Wochenende weggeblieben! Normalerweise war er sehr selbständig und konnte es genießen, wenn er mal ein paar Tage alleine war und sie freute sich wie immer aufs heimkommen. Sie überlegt kurz ob wohl jemand gestorben war im näheren Umfeld, nein, dann hätte er sie bestimmt angerufen. Hat er eine schwere Krankheit und gerade die Diagnose bekommen? War er an einem Unfall beteiligt?
1000 Fragen türmen sich wie schwarze Wolken auf und sie holt nervös eine Zigarettenschachtel aus dem obersten Schrank, die sind eigentlich schon zu alt um noch geraucht zu werden, aber momentan will sie einfach nur tief den Rauch inhalieren, nichts denken und sie versucht sich zu fangen. Sie setzt sich auf den Küchenstuhl, der seltsamerweise wackelt und eine andere Farbe hat. Die ganze Wohnung leuchtet in einem sonderbar grellen Licht und sie starrt ihren Lebenspartner an, fragend und ungeduldig. Irgendwo ist schrecklich laute und verzerrte Musik zu hören, komisch, ob da wohl neue Nachbarn eingezogen sind. Mario aber atmet schwer, schlürft lauthals ein großes Wasserglas leer und läuft wie eine aufgezogene Puppe hin und her. Er ist die Unruhe in Person und blickt sie immer wieder kurz aber umso eindringlicher an, dabei scheint er mindestens zwanzig cm größer zu sein als sonst.
„Du Monika, hör bitte einfach nur zu und stelle mir jetzt bloß keine Fragen, Bitte!” Ein Ruck geht durch seinen Körper, kurz schwebt er über dem boden, dann schrumpfen seine Beine und er scheint plötzlich sehr klein zu sein, dafür sehr gefasst. Sein Blick ist dunkel überschattet und sie fragt sich verwundert, ob er immer schon so dunkelrote Augen hatte? Egal, er wird gleich erzählen was los ist, denkt sie und streckt den Rücken, balanciert auf der Sessellehne, die sich unangenehm bewegt, sie will auf alles gefasst zu sein. Marios Stimme ist gleichförmig und leise, klingt wie ein Echo: “Moooonikaaaa, ich war im kleinen Migros um die Ecke und wollte Milch und Brot kaufen, da stand auf einmal ein Mann vor mir, der mich mit einem seltsamen Namen begrüßte und in einer unbekannten Sprache höflich anredete. Seine Schuhe waren gelbschwarz und statt Armen hingen geschuppte Fledermausflügel von seinen breiten Schultern. Er sei mein Bruder von den Sternen und endlich habe er mich gefunden, endlich sei er da um mich abzuholen. Seltsaaaaaam, ich habe jedes einzelne Wort verstanden und als er mich kurz berührte war es, als ob ein elektrischer Schlag durch mich fährt und meinen ganzen Kopfpfpfpfpfpfp neu ordnet. Ich hatte keine Angst mehr und lehnte mich nur müüüüüüde an ein Regal. Dann kam er auf mich zu, steckte mir ein langes Stäbchen in den Rachen und seither sehe ich die Welt ganz neu, alles Neeeegaaaatiiivee ist verschwunden. Stell dir vor Monika, ich bin gar nicht Mario, ich war das nieeee wirklich, jetzt weiß ich, dass ich Zx!2)cY bin und vom Orion komme.”
Monika schluckt sehr schwer, ihr schwindelt kurz und sie sammelt hektisch in allen Erinnerungsecken in einer Sekunde alles Wissen über psychotische Zustände, das sie jemals gehört oder gelesen hatte und das war nicht wenig. Sie spricht sehr behutsam zu Mario, wie zu einem verschüchterten Kind, bittet ihn sich zu setzen und einen warmen Tee zu trinken, der tatsächlich schon auf dem Tisch steht. Nein, sie kommt ihm nicht allzu nahe dabei, wer weiß wie er reagieren würde. Ja, ja, ja brummt sie wenig überzeugend und im Grunde mehr für sich selbst, alles ist gut und wir sind hier in unserer Wohnung, draußen schneit es ein wenig, wir haben Weihnachtsferien und morgen…
Weiter kommt sie nicht, denn Mario war inzwischen aufgestanden und hatte zwei lange silberschwarze Ruten, die wie altertümliche Funkantennen aussehen, aus seinen vier Ohren ausgefahren. Die schlängeln sich in ihre Richtung und obwohl alles in ihr brüllen und fliehen will, kann sie nur starr und bewegungslos zuschauen, wie sich die Tentakel, die sich erstaunlich weich und angenehm anfühlen, in ihre Ohren und Nasenlöcher bohren. Im Hintergrund ertönt eine verschwommene Ansage aus riesigen Lautsprechern in einer völlig fremden Sprache. Ein Frösteln schüttelt sie und dann entdeckt sie die Veränderung an Zx!2)cY, der von den Sternen zu ihr gekommen war. Eine Lichtgestalt ist er, er trät einen weißen Anzug und eine glitzernde Maske, seine Augen sind unter einem undurchlässigen Helm verborgen und sein Atem zischt regelmäßig wie eine Pumpe, aus ein, aus ein. Er kam wirklich vom Orion, da gab es nichts mehr zu fragen. In seiner rechten Hand hielt er etwas verborgen und Angst schnürte ihr fast die Kehle zu, als er ihr endlich zeigte, was es war. Eine riesige Injektionsnadel, mit goldenem Serum gefüllt, näherte sich unaufhaltsam ihrem Arm und sie hörte plötzlich die Engel singen. Halleluja, der Impfstoff ist da dröhnte es in ihrem Kopf, halleluja.
Im selben Augenblick war ein lauter und langer Schrei zu hören, Monika brauchte einige Zeit um zu realisieren, dass es ihr eigener war und sie blickte mit klopfendem Herzen in ihrem Bett umher, sogar unters Bett schaute sie und war erleichtert, dass da nur die Hausschuhe lagen. Schon wieder dieser blöde Alptraum, Gott sei Dank war sie daraus aufgewacht. Sie befühlte kurz, noch im Gefühl des Traums gefangen ihren Oberarm, aber da war nichts zu spüren und als sie zu Mario blickte, der friedlich und leise schnarchend neben ihr schlummerte, wusste sie, dass es nur die Coronakrise war, die ihren Schlaf gestört hatte. Gute Nacht.