EINE GESCHICHTE VON MANUSCH
Sie fährt sich durch die Haare, nein stimmt nicht. Sie rauft sich die Haare. Dann stößt sie unwillig einen spitzen Schrei aus, was sie selbst erschreckt. Sie beobachtet fassungslos wie ihre Füße auf den Boden trommeln, stampfen, wild, hemmungslos. Hoppla, was geht denn da ab. Der Schrei setzt erneut an und sie realisiert, dass ihre alte Wohnungskatze starr auf dem Sofa sitzt und die Ohren steil zurücklegt, bereit zum Absprung. Vermutlich versteht sie die Welt nicht mehr. In diesem Fall geht es ihr so wie Lena, die sich vornüberbeugt und heftig aus- und einatmet. Uff, was war denn das für ein Ausbruch! Als ob eine Bestie in sie hineingefahren wäre, unglaublich. Doch, wenn sie so in sich ein bisschen nachspürt, ist es eigentlich ein gutes Gefühl. Die Hände zittern leicht, der Puls ist recht schnell und ein Blick in den Spiegel im Flur zeigt ihr, dass die Augen erregt leuchten. Ja doch, sie wirkt sehr lebendig. Trotz – oder kann es auch sein wegen? – des Ausbruchs, der so überraschend gekommen ist.
Sie geht auf und ab, in der Küche, im Wohnzimmer, auf dem Balkon und kreist die Arme, die Schultern. Es ist Zeit, es ist Zeit ……. als ob der Satz in ihrem Kopf schweben, als ob eine alte Kassette leiern würde, als ob ……. Lena schenkt sich ein großes Glas Wasser ein und setzt sich zur Katze, die weiterhin sehr auf Vorsicht eingestellt ist. Beruhigendes Murmeln und Streicheln hilft mit der Zeit und Lena wird augenblicklich todmüde. Zwei unbequeme Stunden später erwachst sie wie gerädert, der Stuhl war nicht die beste Wahl für ein Schläfchen mitten am Tag, nun sei´s drum. Sie hat geträumt von einem kleinen See und Bäumen und irgendeine Gefahr war da auch im Spiel, lag sozusagen in der Luft. Sie schüttelt das Gefühl ab und erinnert sich sofort wieder an den Ausbruch, an den Satz. Lena holt Papier und Bleistift, nein es muss Ölkreide sein, ganz fett oder Filzstift, alle Farben will sie verwenden. Sie klebt A4 Blätter zu einem großen Bogen und schreibt in riesigen Buchstaben. ES IST ZEIT.
Hm, aber wofür eigentlich. Zeit zu essen ist es nicht, zu schlafen schon gar nicht, jemanden anzurufen ist auch eine Fehlanzeige. Zu arbeiten vielleicht, ja denkste, niemals, es geht um wirklich Wichtiges. Ganz Grundlegendes, ja es geht für sie tatsächlich um Alles. Es ist Zeit die 7Sachen zu packen und zu gehen. Seit Monaten verspürt sie dienen Wunsch in sich, hat ihn tagtäglich verdrängt, zum Schweigen gebracht aber heute ist er aufgebrochen. Hat sich in diesen Wutschreien gezeigt, in aller Deutlichkeit.
Sie hat genug vom Kinder hüten, genug vom waschen und putzen und kochen und abwarten und geduldig sein. Genug vom immer verfügbar da zu sein, freundlich, aufmerksam, allen die Wünsche von den Lippen zu lesen, das Klo zu putzen wie das Unkraut im Garten zu jäten, die Besuche zu bewirten und die Geschenke für die Gegenbesuche zu besorgen. Immer für den vollen Kühlschrank zuständig, immer das – richtige – WC Papier nach Hause zu tragen, den passenden Wein und die richtige Limonade, das vegane Müsli. Nein, nicht diese Sorte, du weißt doch was uns schmeckt. Fertig. Aus. Genug.
Klar hat sie Familiensitzungen einberufen, sehr zu Unlust ihres Mannes und zum Frust ihrer halbwüchsigen Kinder. Widerwillig haben sie ihr zugehört, nichts beigetragen Außer gelangweilt zu gähnen oder doofe Fragen zu stellen. Klar gab es Zusicherungen in der Art: ok Mama, wenn dir das hilft werde ich ……… Na gut, wenn du meinst kann ich schon den Müll ……… Klar doch, ab jetzt mache ich den Großeinkauf alle 2 Wochen ………. endlose Versprechungen, nur Schall und Rauch. Nein, sie will jetzt nicht ungerecht sein, das eine oder andere hat man ihr schon abgenommen, zumindest einmal oder zweimal, dann ist es wieder eingeschlafen. Muster sind so nachhaltig, sie kennt das ja von sich selbst.
Sie überlegt ob sie nicht alle miteinander noch eine Chance verdienen. Schließlich ist es ja auch ihr Job als Hausfrau, Mutter, Ehegattin, Vertraute, eh nur Teilzeitbeschäftigte die Familie zusammen zu halten. Gut, da muss sie sich rein gar nichts vorwerfen, sie hat auch nicht schnell die Flinte ins Korn geworfen. Im Gegenteil, oft geschwiegen, nur hektisch geatmet und nachts lange wach gelegen. Ihren Widerstand unterdrückt, ihre Gefühle verleugnet, sich selbst in die letzte Reihe gestellt. Ob sich das so gehört oder nicht (dabei hat sie die Mutter im Ohr sitzen), egal, es passt nicht mehr für sie. Sie will raus aus dieser inneren Klammer einer Rolle, die sie so nie angestrebt hat, geschweige denn so ausfüllen wollte.
Wünsche und Träume wollen schließlich auch verwirklicht werden, das gesteht sie allen Freundinnen zu, auch ihrem Mann, als er sich das Motorrad gekauft hatte. Oder das Auslandsjahr des Sohnes oder tausend andere Dinge. Einfach mal auf und davon, ohne Ziel unterwegs sein, das ist einer ihrer Träume, schon seit der frühen Jugend.
Lena wundert sich über die innere Klarheit, denn sie hat nichts geplant, nichts vorbereitet. Sie wollte aushalten, es weiter versuchen, im Guten oder auch mal auf den Tisch hauen. Sie hat alle an die Abmachungen erinnert, extra keine einzige Aktion als Regel dargestellt. Lena hat bunte fröhlich bemalte Zettelchen auf Kopfpolstern und Autositzen hinterlegt, war recht kreativ um die Familienmitglieder zu motivieren. Allein, es hängt schon wochenlang alles wieder nur an ihr. Ihr Vorschlag für einen gemeinsamen Wochenendausflug wurde auch geflissentlich überhört, die Dreckwäsche sammelt sich aktuell an drei Orten, der Biomüll stinkt zum Himmel und das Katzenklo ist sowieso ihr Programm. Nein, keine Chance mehr für alle. Nur eine für sie selbst. Sie streichelt die alte Katze nochmal hingebungsvoll, füllt Futter und Wasser nach und dann schnappt sie die Wanderschuhe und den Rucksack samt Kreditkarte und Schminkutensilien.
Sie schreibt einen Zettel, ohne Blümchen und ohne smileys: Liebe Familie, es ist höchste Zeit. Wofür werdet ihr sicher miteinander herausfinden. Ich nehme Urlaub vom Leben und bin die nächsten Wochen unterwegs. Ihr müsst euch keine Gedanken machen, es geht mir sehr gut. JA, so gut wie seit ewigen Zeiten nicht mehr. Werde einmal pro Woche ein sms schicken. Wer weiß, wohin der Wind mich weht. Danke dass, ihr mir «so aktiv geholfen» habt, dass es so weit gekommen ist. Das war das Beste was mir passieren konnte. In Liebe, Lena.