EINE GESCHICHTE VON LISA
Anna und John (eigentlich hiess er Hans, aber John tönt «cooler») waren unterwegs. Die Pilotin und der Co-Pilot flogen nach Buenos Aires in Argentinien. Sie sassen im Cockpit, alles ging nach Plan.
Mitten über dem Atlantik hörten sie eine sympathische, warme Stimme: «Hallo ihr beiden, alles gut bei euch?». Erst dachten sie an einen Scherz des Kabinenpersonals, aber das konnte irgendwie nicht sein. Sie schauten sich an und John fragte vor sich hin: «Wer bist Du? Wie heisst Du»? «Ich bin euer Flugzeug und heisse Kistine – die meisten sagen Kiste zu mir – und ich würde euch gerne für ein Abenteuer einladen», war die Antwort. «WIE bitte?» kam es wie im Chor von den beiden Piloten. «Und die Passagiere?» gibt Anna zu bedenken. «Die Passagiere werden es lieben und den Rest ihres Lebens davon erzählen». Wieder schauten sich die beiden mit grossen Fragezeichen im Gesicht an und Anna fragte: «Und wie soll das gehen?» «Ihr nehmt all Euren Mut zusammen und drückt einfach auf den Zauberautopilot-Knopf». In diesem Moment leuchtete ein nie vorher gesehener wunderschöner bunter Knopf auf und John drückte einfach drauf. ….
Die Kiste fuhr senkrecht nach unten, legte die Flügel wie ein Wanderfalke seitlich an den Körper, tauchte tief in den Ozean. Im linken Augenwinkel nahm Anna eine Versammlung von Fischen wahr, mit Transparenten. «Kein littering, gesund ohne Plastik», konnte sie knapp lesen. Aber schon schoss das Flugzeug wieder hoch, in den weiten Luftraum. Hallo ihr beiden, alles gut bei euch? Wieder die gleiche Frage. Anna hallte der Satz im Hinterkopf wider. Eigentlich nicht, dachte sie, endlich mal hinschauen, die Sachen benennen und lösen! Ich die Pilotin, und er drückt. Typisch, dachte Anna.
Da ertönt eine Fanfare, und plötzlich ist nur noch das Jetzt wichtig. Der Himmel verdunkelt sich, erleuchtete Pferde und Löwen, Kugelschreiber und Milchkessel, Kaninchen und Rosen, Lilien und Spritzkannen fliegen wie bizarre Raumschiffe im Luftraum umher. Elegant umschiffen sie einander und das Flugzeug, wiehern und lachen, klempern und duften. Es gibt kein oben und unten, kein vorne und hinten, nur eitel Freude. Das ist wohl das Paradies, denkt Anna und zwickt John in den Arm. John hat die Augen leicht verdreht und scheint zu überlegen, wie er das Kistli verlassen könnte. Anna schaut durch den Türspion nach hinten. Sind das ihre Passagiere? Sie haben Gesichter wie Feen, Teufel und Zwerge. Einige tanzen im Gang. Die Gepäckfächer sind offen, die Trolleys und Rucksäcke schaukeln mit lachenden Gesichtern im Takt hin und her. Innen ist aussen, und aussen ist innen, denkt Anna, die schon öfter im KKL von Jean Nouvel war. Und alle sind in der gleichen glücklichen Stimmung.
Es regnete kleine weisse und rosa Blüten auf die Erde, und auf die Kinderspielplätze fielen Karamellen. Auf dem Flughafen in Buenos Aires war ein Flugzeug überfällig. Die Menschen schauten gelassen zum Himmel auf. Sie waren sich gewohnt, dass in Corona-Zeiten alles ein bisschen langsamer und bedächtiger war.